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zum Schaffen von Dieter Schönbach
 
     
Auf der Bühne kreisen farbig angestrahlte Ballons in vollendeter Schönheit, dann aber entleeren sich Pressluftflaschen unter schmerzhaftem Getöse. Die Szene trägt den Titel "Ketzerverbrennung" und will nicht illustrieren, sondern hautnah symbolisieren.
Der Zuhörer selbst wird als Ketzer verbrannt, soll betroffen werden in der Erkenntnis: Auch eine brennende Stadt ist ein optisch schönes Ereignis.
Auf solche Aktivierung des weiteren Assoziationsbereiches zielte die Absichten einer Gruppe von Künstlern um den Bochumer Komponisten DIETER SCHÖNBACH; die Szene entstammt seiner Oper "Die Geschichte von einem Feuer" (uraufgeführt auf der Kieler Woche 1968, auf dem Spielplan in Münster 1969), für die neben der Textdichterin Elisabeth Borchers bildende Künstler als Mitautoren zeichnen: Otto Piene, Bernd Völkle, Edmund Kieselbach und Günter Weseler schufen die Bilder der Oper als kinetisch-optische „Gesamtkunstwerke“.

Dieter Schönbach
Die Bühnendekoration erinnert an zeitgenössische Kunstausstellungen: proportionierte Flächen und Körper, Figuren und Arrangements aus Rädern und Schrott, Raster aus Kunststoff, und dies alles wird "funktioniert" in Bewegung gebracht: Räder drehen sich, der Schrott klirrt, Kunststoffraster atmen, Lichtabläufe spielen hinein nach der Partitur des Komponisten. Ein Versuch, die Einheit der Künste, die verlorenging im Pluralismus der Gattungen und in der Selbstisolierung der Techniken, in symbolträchtiger Verknüpfung wiederzufinden. Hat das Sinn?
Multimedia, das Stichwort für diesen Versuch, meint etwa Folgendes:
In den zeitgenössischen Künsten hat es nicht nur diese trennende Spezifizierung gegeben, sondern auch Entwicklungen aufeinander zu: eine Graphisierung und Dramatisierung der Neuen Musik, eine Musikalisierung der Bildenden Kunst und des modernen Dramas.
Schönbach zitiert als Gründungsväter der Richtung: Gauguin, Cézanne, Braque, Seurat, Kupka, Malewitsch, Lissitzky, Schwitters, Klee und schließlich Kandinsky mit seinem Versuch einer bildnerischen Formenlehre. Musikgeschichtliche Anknüpfungspunkte wären die „Farblichtmusiken“ des späten Alexander Skrjabin oder die ebenfalls noch vor 1920 entstandenen Formen in der Luft von Arthur Lourié, deren Notenbild primär als graphisches Kunstwerk anspricht.

Bei der Entstehung eines Multimedia-Kunstwerkes erarbeiten Textdichter, Komponist, Maler, Choreograph, Kinetiker zunächst eigene Entwürfe zu einem Thema. Dem Komponisten fällt dabei die Hauptaufgabe zu, diese Entwürfe aufeinander abgestimmt in einen gemeinsamen Zeitablauf zu bringen

Geschichte von einem Feuer: Die Bauernkriege
Geschichte von einem Feuer
Die Bauernkriege

Canzona da Sonar 5
Canzona da Sonar 5 (Info)
Fast könnte man die „Hypertrophie der Apparate“ als skurril empfinden:
In der Canzona V, der letzten Environment-Arbeit Schönbachs, sind am Ablauf beteiligt: eine Sängerin, ihre Stimme, multipliziert und manipuliert auf Tonbändern, weitere Tonbänder mit vorgefertigten Klangobjekten und Leuchtbändern, die sichtbar über die Bühne laufen und – ein Tribut an die Aleatorik – von Musikern in verschiedenen Geschwindigkeiten gedreht werden und in den Wiedergabeköpfen nur dann Impulse auslösen, wenn sie zuvor – hiermit sind andere Musiker mit Scheinwerfern beauftragt – von einem Lichtimpuls getroffen wurden. Grundgedanke ist, dass die musikalische Komposition wortwörtlich „sichtbar“ vor dem Zuschauer entsteht.
Anregungen aus den 20er Jahren kehren hier wieder: das Maschinenballett, die Biomechanik Meyerholds: Multimedia okkupiert Spielräume, die im technischen Zeitalter an sich offenstehen, aber der Teamarbeit zur Synthese bedürfen.
Der Epoche künstlerischer Ökonomik, wie sie Brecht auf dem Theater, Strawinsky in der Musik begründeten, wird hier sichtbar ein Nein entgegengesetzt. Oder weniger krass: Während Brecht vom Barocktheater das Lehrhafte übernahm, Strawinsky an der Barockmusik das Gegliederte schätzte, scheint hier das Großartige, Raumfüllende barocker Aktionen eine Wiedergeburt zu feiern. Es klingt nicht uninteressiert, wenn Schönbach vom barocken Pferdeballett spricht – Multimedia drängt zu marktplatzfüllenden Dimensionen, zu Freiluftaktionen, die ein ganzes Stadtbild füllen und beeindrucken.
Zum anderen will Multimedia sich scharf abgegrenzt wissen von Mixed Media: Nicht ein Nebeneinander künstlerischer Techniken ist erstrebt, sondern ein Ineinander auf Grund verwandter Strukturen. An einem musikalischen Beispiel verdeutlicht: Um in seinem Chant liturgique (1964-65) einen Chorsatz Perotins zu verschmelzen, ging Schönbach von einer graphischen Analyse dieses Satzes aus – diese graphischen Strukturen wurden die Grundlage für ein zeitgenössisches „Environment“.
Hysteria, Paradies schwarz
Hysteria, Paradies schwarz
Notengrafik & Noten
Notengrafiken & Noten

Graphische Komposition spielt im Schaffen Dieter Schönbachs – auch wo es sich nicht um Multimedia-Schöpfungen handelt – seit längerer Zeit eine bestimmende Rolle.

Man muss diesen Begriff der graphischen Komposition - vielfältiger aktueller Ausprägungen wegen - bereits gesondert definieren:
Bei Schönbach handelt es sich nicht um Improvisations-Anregung für Dirigenten und Musiker nach seinen Zeichnungen. Er misstraut den Zufallsresultaten solcher Versuche, wie er auch prinzipiell und wertend zwischen Studie und Werk unterscheidet.

Schönbachs Partituren sind exakt ausgearbeitet und benutzen, soweit das Material dies zulässt, die herkömmliche Notation. Die graphische Konzeption setzt im Vorprozess der Komposition an: Schönbach, oft in Gemeinschaft mit befreundeten Künstlern, entwirft auf einem langen Band den Formverlauf einer Komposition, die Verteilung des Materials in Tonhöhe und Massierung.
Solche Skizzen, die wie ein Notenblatt von links nach rechts zu lesen sind, sind nach Schönbach zumindest eine Gütekontrolle des formalen Ablaufs, Schwächen des Entwurfs träten bereits im Graphischen zutage. Und Dirigenten haben angegeben, dass sich Schönbachs Musik nach diesen Skizzen besonders bequem ausführen lässt.

In der Gestaltung des endgültigen Satzes, der „Infrastruktur“, will Schönbach sich ebenfalls weitab wissen von herkömmlichen Auffassungen des musikalisch Elementaren. Überlegungen, die vom Konsonanzbegriff oder gar von einer „Durchführung“ ausgehen, sind ihm ein Greuel. (Freilich meint man als Zuhörer, diesen Kategorien mitunter zu begegnen, was dem Eindruck seiner Arbeiten gar nicht abträglich erscheint.) Sein Begriffssystem ist der bildnerischen Elementarlehre entlehnt, wenn er zwischen Klangflächen, Klangpunkten, Klangkurven und Klangstille unterscheidet und statt Intervalle lediglich Distanzen gelten lassen will.

„Glissando“ wäre in der Tat eine oberflächliche Beschreibung für die mannigfachen Verlaufsformen "Schönbach'scher" Meloskurven. In der Canzona da sonar III (uraufgeführt beim Warschauer Herbst 1967; Plattenaufnahme bei Moeck, Nr. E.M. 10003), einem an Bach orientierten, kontrapunktischen Satz für Blockflöte und manipulierte Tonbänder, schafft ein langsam gleitendes Fundament eine frappierende Kontinuität. Die Canzona IV (wohl bisher die stärkste Arbeit Schönbachs in „reiner Musik“) ist eine einzige Variation über das Thema Klangkurve; bei der Erarbeitung der verschiedenen Kurvenmodelle haben Maler mitgewirkt. In seiner Zielstrebigkeit und Ausschöpfung des Themas könnte man das Stück an klassischen Vorbildern messen, während es dem Hang zum Desperaten und Extremen - einem Kennzeichen vieler zeitgenössischer Kompositionen – entsagt.
Man fragt sich, ob Schönbachs klangliche Lösungen wirklich nur Übertragungen graphischer Strukturen sind, ob sich nicht akustisches Kalkül einer graphischen Kontrolle entzieht. Seine Musik „klingt gut“ und kommt „dem Hörer“ weiter als derzeit üblich entgegen; Schönbach erweist sich als Musiker mit einem treffsicheren Sinn für Proportionen. Tonliches und außertonliches Material, vertraute und unvertraute Effekte ordnet er zu überraschender Übersichtlichkeit. Nicht das Uninteressanteste an der „Geschichte von einem Feuer“ sind die Zwischenspiele dieser Oper: kurze, inventionsartige Verarbeitungen von Geräuschmaterial in faszinierender rhythmischer Gliederung.
Notengrafiken
Notengrafiken
Notengrafiken
Notengrafiken

In diesem Zusammenhang verweist Schönbach auf eine eingehende Beschäftigung mit Strukturen indischer Musik. Das kybernetische Problem des Hörbaren führte ihn zu Lösungen in Gestalt geometrischer Formen. Neben den Gesetzen des Goldenen Schnittes sei es vor allem die reine Form der Parabel/Hyperbel, die er in vielfältigen Modifikationen (Drehungen und Überschneidungen) seinen Kompositionen zugrundelegte.

   
Autor: Detlef Gojowy – ein Vortrag im WDR-Köln
veröffentlicht in MUSIK UND BILDUNG – B.Schott-Verlag